Umgewohnt! Neue Möglichkeiten des Wohnens für Studierende
Modell des Wohncontainers im Berliner Plänterwald | Foto: EBA51
Tausche Bildung für Wohnen
In der Küche ist nicht viel los, als Kübra nach Hause kommt. Nur Lena sitzt am großen Holztisch, mit Abendbrot vor ihrem Laptop. Alles hier sieht noch ein wenig neu aus. Und ein bisschen zusammengewürfelt – genau wie die drei Mädchen, die hier wohnen. Typisch WG. Doch was hier anders ist: Niemand der Bewohner zahlt Miete. Denn Lena und Kübra sind beide Teil des Duisburger Wohnprojekts "Tausche Bildung für Wohnen".
Dort betreuen sie als Paten 15 Kinder von der ersten bis zur sechsten Klasse. Kübra Tazeoglu (22), die Umwelttechnik in Bochum studiert, nur in Teilzeit. Lena Wiewell (30), die ihr Architektur-Studium schon abgeschlossen hat, hat eine Vollzeitstelle. Sie habe eine Reportage darüber im Fernsehen gesehen, erzählt sie. "Ich habe mich sofort beworben, weil ich dachte: Da haben Menschen die gleichen Ideale wie ich."
Kübra ist über ihren Bruder Mustafa zum Projekt gekommen, der es zusammen mit seiner Bekannten Christine Bleks gegründet hat. Vorher habe sie alleine gewohnt. "Aber ich habe kein BAföG bekommen und musste irgendwo arbeiten." Nun hilft sie dreimal in der Woche Schulkindern in der "Tauschbar", einer umfunktionierten Altbauwohnung im Duisburger Problemviertel Marxloh.
Zehn Minuten davon entfernt liegen die WGs, die den Projektlern zur Verfügung gestellt werden. Jeweils zu dritt wohnen sie zusammen, jeder hat ein geräumiges Zimmer in einer frisch renovierten Wohnung. Zur Uni in Bochum brauche sie zwar nun länger, erzählt Kübra. Aber das Projekt liege ihr am Herzen – und außerdem müsse sie nur die Nebenkosten zahlen.
Studieren ohne Wohnung?
Solch ein Wohnprojekt, in dem Kübra mitwirkt, ist für viele Studenten inzwischen eine echte Alternative zu den klassischen Studenten-WGs. Günstige Zimmer oder Wohnungen zu finden, wird immer schwerer. Vor allem in den großen Städten, also dort, wo die Unis angesiedelt sind. Was früher nur in München als Problem galt, ist inzwischen in vielen deutschen Großstädten Alltag.
Bei Wohnungsbesichtigungen stehen hunderte von Bewerbern vor dem Haus, WGs veranstalten richtige Castings, um Herr über die vielen Anfragen zu werden. Die Ursache dafür ist neben den steigenden Studierenden-Zahlen auch der Trend zur Landflucht. Prognosen besagen, dass 80 Prozent der Bevölkerung bis 2050 in Städten wohnen wird – der harte Kampf auf dem Immobilienmarkt scheint also gerade erst zu beginnen.
Zum Wintersemester sei es am schlimmsten, erklärt Stefan Grob vom Deutschen Studentenwerk. "Da fangen im Schnitt 500.000 Erstsemester an. Vor ein paar Jahren waren es noch 250.000." In den Medien hört man dann von Studierenden, die in Zelten übernachten oder täglich bis zu vier Stunden pendeln müssen. Ganz so dramatisch, wie es oft dargestellt wird, sei es zwar nicht, meint Stefan Grob. "Aber es ist ein echtes Problem."
Zu dem großen Konkurrenzkampf während der Wohnungssuche kommt auch noch die Tatsache, dass viele Studenten kurzfristig eine Zusage von den Universitäten bekommen, wenn sie beispielsweise nachrücken. Viele Studentenwerke bieten wegen der schwierigen Lage sogar Notunterkünfte an, meistens Betten in Gemeinschaftsräumen der Wohnheime.
Wohnen im Altenheim
Wenn sie keinen Platz im Altenheim bekommen hätte, wäre Kristin Brömer (22) vielleicht auch in so einer Notunterkunft gelandet – wie viele ihrer Freunde. Zum Glück hatte sie aber schon vorher von dem Projekt "Wohnen für Hilfe" gehört, das bundesweit angeboten wird. Der GDA Wohnstift Göttingen konnte ihr schnell eine Unterkunft vermitteln. So lebt sie jetzt in einem kleinen Apartment mitten unter rüstigen Rentnern: "Es ist wie eine normale Wohnung, nur, dass ich eben nicht so normale Nachbarn habe", erzählt die Soziologie-Studentin. Die Miete kann sie abarbeiten, indem sie am Wochenende im Pflegeheim nebenan arbeitet, wo sie bedürftige Senioren betreut.
"Ich gehe mit ihnen spazieren, lese etwas vor, spiele mit ihnen oder höre manchmal auch einfach nur zu", umschreibt die 22-Jährige ihren Aufgabenbereich, der richtige Pflegetätigkeiten strikt ausschließt. In den Klausurphasen kann sie ihr Arbeitspensum auch herunterschrauben, zahlt dann jedoch auch dementsprechend mehr Miete. Freunde können immer gerne vorbeikommen, nur abends sollte auf die Lautstärke geachtet werden.
Helfen, um bei der Miete zu sparen – nicht nur praktisch, sondern auch sozial. Das kann als helfende Hand in einer Familie oder bei Alleinerziehenden sein, im Altenheim oder wie im Falle von Jörn Vorbeck (20) bei einer älteren Privatperson. Der gebürtige Schleswig-Holsteiner ist für sein Jura-Studium nach Köln gezogen und hat dort ebenfalls über das Studentenwerk und "Wohnen für Hilfe" ein Zimmer gefunden.
Das ist im Haus einer mental noch sehr fitten 80-jährigen Rentnerin. Er hilft im Garten, bei Hausarbeiten und allem, was sonst noch anfällt. Und bezahlt dafür nur die Nebenkosten, die bei knapp 100 Euro liegen. Zentral gelegen ist die Unterkunft allerdings nicht – knapp zwei Stunden braucht Jörn zur Uni hin und zurück. "Das ist natürlich Zeit, die verloren geht. Aber man muss mit sich selbst abmachen, was einem wichtig ist. Ich wusste, dass ich neben dem intensiven Studium keinen Nebenjob machen kann und deshalb etwas Günstiges finden muss. In Köln fast unmöglich", sagt der 20-Jährige.
Ab in den Container
Auf das Kneipenleben in unmittelbarer Nähe kann Sina verzichten – sie hat sich für den Container entschieden. Was sich im ersten Moment nach Big Brother anhört, ist für die Filmstudentin die bestmögliche Heimat. Im Berliner Plänterwald stehen die Vintage-Container, die früher teils auf den Meeren unterwegs waren und heute zu kleinen und schicken Wohnungen umfunktioniert wurden. 389 Euro für einen möblierten Single-Container bezahlt die 23-Jährige, inklusive aller Nebenkosten und der Waschmaschinen-Nutzung.
"Es ist ein bisschen wie Jugendherberge mit eigener Wohnung bei uns", erzählt sie. Es gebe eine enge Gemeinschaft in dem Containerbau, in dem es auch Pärchen-Wohnungen und WGs gibt. Diese besondere Wohnheimalternative kommt so gut an, dass die Betreiber ihren Bestand noch ausbauen. Bald könnte ein ganzes Containerdorf entstehen, so wie in Amsterdam, wo die Idee zum Containerumbau ihren Ursprung hat.
Ebenfalls aus den Niederlanden nach Deutschland gekommen ist das Konzept des "Hauswächters". Um verlassene Gebäude vor Einbrüchen und Hausbesetzern zu schützen, können dort Studenten einziehen. Für eine kleine Pauschale wohnen und bewachen sie zum Beispiel wie in Münster ein altes Finanzamt. Ihre Möbel können sie selbst mitbringen, um sich einzurichten. Das Wohnverhältnis kann jedoch sehr kurzfristig enden, auf beiden Seiten besteht eine vierwöchige Kündigungsfrist. Wer dort also raus muss, landet wieder direkt im Wohnungsdschungel. Oder entscheidet sich vielleicht für ein anderes, alternatives Wohnkonzept.
Alles eine Frage des Geldes
Zur Uni pendeln ist für viele Studenten zum Alltag geworden. Entweder wohnen sie dann noch bei ihren Eltern oder weit weg von der Uni, weil die Mieten dort erschwinglicher sind. Dem Argument, dass Angestellte diese Bedingungen auch auf sich nehmen müssten, entgegnet Stefan Grob vom Deutschen Studentenwerk: "Zwar müssen wir uns im Berufsleben auf das Pendeln einstellen, aber da müssen wir auch nicht die ganze Zeit lernen. Außerdem sind die Präsenzanforderungen in den Bachelor- und Masterstudiengängen ungleich höher als früher und Studenten sind ebenfalls immer wieder darauf angewiesen, in Bibliotheken oder in den Laboren zu arbeiten."
Neue Wohnheimplätze würden dringend gebraucht werden, erklärt der Pressesprecher. Das Deutsche Studentenwerk fordert eine staatliche Unterstützung, die Verbesserung der Wohnsituation könnte beispielsweise in der Form einer Erweiterung des Hochschulpaktes gewährt werden. "Wir brauchen bundesweit mindestens 25.000 zusätzliche staatlich geförderte Wohnheimplätze. Denn nur mit der staatlichen Förderung können wir beim Neubau Mieten realisieren, die ungefähr in der Höhe der BAföG-Wohnkostenpauschale von 224 Euro liegen."
Mieten auf dem öffentlichen Wohnungsmarkt mit dieser berechneten Pauschale zu bezahlen, ist fast unmöglich. Laut einer Studie von noknok24 liegt der Preis für ein WG-Zimmer in München jedoch bei 501 Euro, in Frankfurt bei knapp 430 Euro. Von Köln über Hamburg nach Berlin bezahlen Studenten 300 bis 400 Euro, Richtung Osten wird es günstiger. Eins haben alle Städte gemeinsam: Für eine Bleibe in angesagten Vierteln müssen die Mieter meist sehr tief in die Tasche greifen.
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