Shinchonji: in den Fängen der koreanischen Sekte

Tamara Vogel - 13.03.2018

Shinchonji Sekte

Shinchonji-Anhänger müssen 4-mal die Woche 4 Stunden Bibelverse pauken | Foto: Olivia Snow/Unsplash

Die Sekte Shinchonji bot der Studentin Lara Orientierung

Eines Tages wurde Lara in einem Einkaufszentrum angesprochen. Über Bibelpassagen wollte sich die junge Koreanerin Yunai mit ihr unterhalten. Lara war skeptisch, hatte sich nie viel aus der Bibel gemacht. Doch sie wurde neugierig: "Nach Abschluss meines Anthropologie-Studiums war ich etwas orientierungslos, obendrein kriselte meine langjährige Beziehung. Ich wollte etwas Neues ausprobieren." Was die 24-Jährige nicht wusste: Yunai gehört der koreanischen Sekte Shinchonji ("Neuer Himmel auf Erden") an. Gegründet wurde sie 1984 von Lee Man-hee, der von den Anhängern als Nachfolger Jesu Christi angesehen wird.

"Ich hatte das Gefühl, wieder lebendig zu sein"

Die Mädels verstanden sich auf Anhieb. Sie sprachen über das Leben, die Sinnsuche und die Bibel. "Wenn mich Fragen quälten wie 'Wer bin ich eigentlich?' oder 'Wie finde ich meinen Lebensweg?',  kannte Yunai eine Bibelstelle, die Antworten lieferte. Das war faszinierend", erzählt Lara. Bei den darauffolgenden Treffen war auch Marcel mit dabei. Lara war auf Anhieb begeistert vom selbstbewussten Auftreten und den strahlenden Augen: "Besonders beeindruckend fand ich seinen starken Glauben. Ich hatte noch nie jemanden kennengelernt, der so überzeugend von der Bibel sprach. Alles schien logisch und ergab einen Sinn. Ich hatte das Gefühl, wieder lebendig zu sein." Bald darauf folgte die erste Einladung zum Bibelunterricht. Lara war überrascht von der Herzlichkeit der Kursteilnehmer. Alles schien so vertraut, geradezu familiär. Seit langem fühlte sie sich wieder geborgen. "Die meisten waren Singles, Studenten oder Neuzugezogene. Sie suchten Anschluss und fanden ihn dort."

Ein halbes Jahr der Ahnungslosigkeit

Das anfänglich gemütliche Beisammensein bekam mit der Zeit eine Struktur: Viermal die Woche ging Lara abends zum Bibelkurs. Eine Einheit dauerte drei bis vier Stunden. Alle Sektenmitglieder müssen eine Grund-, Mittel- und Oberstufe durchlaufen. Am Ende gibt es jeweils eine Prüfung, die wortwörtliche Wiedergabe von Bibelversen. Die Lehre von Shinchonji geht davon aus, dass die Bibel aus verschlüsselten Texten bestehe. Lee Man-hee sei der Einzige, der diese Zusammenhänge entschlüsseln und deuten könne. Diejenigen, die seiner Lehre folgen, erlangten ewiges Leben in Frieden. Jene, die sie ablehnen, erwarte ewige Verdammnis.

7 Merkmale, an denen man eine Sekte erkennt

  1. eine zentrale Leitfigur
  2. eine vorhandene Ideologie
  3. Gruppe sieht sich als Elite und bietet Geborgenheit
  4. Kontakte außerhalb der Gruppe sind unerwünscht
  5. feste Strukturen
  6. Mitglieder werden gezielt beeinflusst
  7. finanzielle Abgaben werden fällig

Der Ausstieg gelang ohne Probleme

Da der Name "Shinchonji" nie erwähnt wurde, war Lara zu keinem Zeitpunkt klar, dass sie den Lehren einer Sekte erlegen war. Erst nach einem halben Jahr, als Lara die Prüfung zur Oberstufe nicht schaffte, rutschte ihrer Gruppenleiterin der Name heraus und sie erwähnte, dass es um den Nachfolger von Jesus Christus ginge. Lara war verwirrt, suchte im Netz nach Antworten und stieß dabei nur auf eine: Shinchonji war eine Sekte. "Plötzlich hatte ich wieder dieses leere Gefühl in mir." Lara entschied sich bewusst für den Ausstieg und hatte Glück, dass dieser recht problemlos funktionierte – auch dank des Rückhalts ihrer Freunde und Familie, von denen sie sich zwischenzeitlich abgewendet hatte. Nur ein paarmal versuchten die Sektenmitglieder, sie zurückzuholen. Jedoch ohne Erfolg.

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